Heilpraktikerin Regina Nerb

Märchen für Mädchen

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön; aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, sooft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs, lag ein großer dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen; wenn nun der Tag sehr heiß war, so ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens; und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.

Nun trug es sich einmal zu, dass die goldenen Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hineinrollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief, dass man keinen Grund sah. Da fing sie an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu: „Was hast Du vor, Königstochter? Du schreist ja, dass sich ein Stein erbarmen möchte.“ Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken, hässlichen Kopf aus dem Wasser streckte. „Ach, du bist’s, alter Wasserpatscher“, sagte sie, ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinabgefallen ist. Aber damit will ich jetzt aufhören und schauen, dass ich sie wiederbekomme.“

„Wie willst Du denn das machen“, sagte der Frosch, „Du kommst ja nie und nimmer bis auf den Grund“.

Aber das Mädchen beachtete ihn gar nicht, es begann, die Umgebung des Brunnens nach etwas abzusuchen, mit dem sie in dem trüben Gewässer fischen konnte.

„Höre, Prinzessin“, sagte der Frosch, „ich kann dir vielleicht helfen. Was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraufhole?“

„Was könnte ich Dir schon geben, Frosch? Fliegen fangen kann ich nicht und etwas anderes brauchst du ja nicht. Nein, nein, ich versuche es selber“.

Aber der Frosch ließ nicht locker:“ Ich möchte dein Geselle und Spielgefährte sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen, wenn du mir das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen.“

Das Mädchen sah den Frosch verwundert an: „Was ich esse, magst Du nicht, in meinen Kissen würdest du ersticken, und mein Spielgefährte…nein, das geht nicht.“ Sie hatte ein langes Holzstück gefunden und begann, damit in dem Brunnen herum zu stochern.

„Das schaffst du doch nicht“, quakte der Frosch und platschte auf die Wasseroberfläche, damit sie sich kräuselte, dann steckte er seinen Kopf heraus. „Stell dir vor, was passiert, wenn du ohne die goldene Kugel nach Hause kommst. Dein Vater wird dich schrecklich schelten.“

„Ach nein“, sagte das Mädchen, „schelten wird er mich nicht, aber ich mag nicht auf mein Spielzeug verzichten.“

„Aber deine Mutter wird sich grämen“, der Frosch ließ nicht locker.

Die Prinzessin sah in kurz an, zuckte die Schultern und fischte weiter in dem Gewässer.

„Aber deine Schwestern werden dich auslachen, weil du so ein schrecklicher Tollpatsch bist“, machte der Frosch weiter.

Das konnte schon möglich sein und das mochte die Prinzessin gar nicht, wenn sie von den älteren Schwestern ausgelacht wurde; sie sah den Frosch nachdenklich an. „Magst du dir denn nicht etwas anderes wünschen, Frosch? Ich könnte vielleicht versuchen, dir Fliegen zu fangen und vielleicht bin ich ja gar nicht schlecht dabei“.

„Nichts da“, schnarrte der Frosch, „ich will bei dir wohnen, mit dir essen und bei dir schlafen, sonst siehst du deine Kugel nie wieder.“

„Also gut, Frosch, hole mir die Kugel herauf“, willigte die Prinzessin zögernd ein.

Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauschte seinen Kopf unter, sah die Kugel schon gleich unter der Wasseroberfläche, da sie sich in den sumpfigen Wasserpflanzen verfangen hatte, mochte es aber schwierig erscheinen lassen, sie zu finden, deshalb nahm er sie ins Maul, sank mit ihr ganz tief hinab auf den Grund, und über ein langes Weilchen kam er wieder heraufgerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielzeug wieder erblickte, hob es auf, rief „danke, Frosch“ und sprang damit fort.

„Warte, warte“, rief der Frosch, nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du.“ Aber was half ihm, dass er ihr sein quak, quak so laut nachschrie als er konnte! Sie hörte nicht darauf, eilte nach Hause und hatte bald den Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinabsteigen musste.

Am anderen Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe heraufgekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an die Tür und rief: „Königstochter, jüngste, mach mir auf!“ Sie lief und wollte sehen, wer draußen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Tür heftig zu, setzte sich wieder an den Tisch und sah den König an. Der König sah wohl, dass ihr das Herz gewaltig klopfte, und sprach: „Mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?“ – „Ach nein“, antwortete sie, „ es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch.“ – „Was will der Frosch von dir?“ – „Ach, lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, da fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Ich weinte zuerst und versuchte sie dann herauszufischen. Der Frosch wollte sie mir bringen, verlangte aber, er wollte mein Geselle werden. Ich wolle das nicht. Ich versprach ihm, dass ich versuchen werde, ihm Fliegen zu fangen, aber das wollte er nicht. Der Frosch gab keine Ruhe: zuerst sagte er, du würdest mich schelten, wenn die Kugel weg ist, dann, dass die Mutter sich grämen wird und zum Schluss, dass die Schwestern mich auslachen werden, weil ich so ein Tollpatsch bin. So versprach ich ihm, er solle mein Geselle sein; ich dachte nimmermehr, dass er aus seinem Wasser herauskönnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein.“ Nun klopfte es zum zweitenmal und rief

„Königstochter, jüngste,

Mach mir auf,

Weiß du nicht, was gestern

Du zu mir gesagt

Bei dem kühlen Wasserbrunnen?

Königstochter, jüngste,

Mach mir auf!“

Da sagte der König: „Was du versprochen hast, das musst du auch halten; geh nur und mach ihm auf.“ Sie ging und öffnete die Türe, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief: „Heb mich herauf zu dir!“ Sie zauderte und der König sah, wie zuwider ihr es war. Da fragte er den Frosch, ob denn alles, was ihm seine Tochter gesagt hatte, auch der Wahrheit entspräche. „Ja“, sagte der Frosch und sah sehr zufrieden aus. Die Miene des Königs aber hatte sich immer mehr verfinstert: „Du hast ein junges Mädchen ganz schändlich betrogen; du hast ihre Notlage ausgenutzt und ihr schlimme Dinge eingeredet; dafür werde ich dich bestrafen“. Sprach’s, nahm den Frosch in die Hand und warf ihn mit aller Macht an die Wand, dass es nur so klatschte und manch zarte Hofdame in Ohnmacht fiel.

Als der Frosch aber herabfiel, war es kein Frosch, sondern ein Königssohn mit schönen freundlichen Augen. Er erzählte, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie allein und er fragte, ob sie ihn heiraten wollte. Ach nein, sagte die Prinzessin, dazu habe sie noch gar keine Lust und so fragte er die anderen Prinzessinnen, aber auch von denen wollte keine so plötzlich beim Abendessen verheiratet werden mit einem Mann, der gerade noch ein Frosch gewesen war und so feierte man einfach ein richtig schönes und langes Fest und der Königssohn war es auch zufrieden und morgen wollte er in sein Reich gehen und seine Eltern wieder sehen.

Am anderen Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren, mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf und gingen in goldenen Ketten und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich.

Und weil das Fest ganz lange gedauert hatte und der junge König noch müde war, legte er sich in der Kutsche zum Schlafen und die Prinzessin und ihre Schwestern und ihre Eltern und der ganze Hofstaat winkten der Kutsche so lange nach, wie sie zu sehen war und begaben sich wieder zurück ins Schloss, um auch noch etwas Schlaf nachzuholen.

Der Diener des jungen Königs, der treue Heinrich, hatte sich aber so betrübt, als sein Herr in einen Frosch verwandelt worden war, dass er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge; als er jetzt seinen Herrn sicher in der Kutschte wusste, da war er voller Freude über die Erlösung und als sie ein Stück Wegs gefahren waren, da krachte es, als wäre etwas gebrochen. Der Königssohn schlief so fest, dass er davon nichts hörte und der treue Heinrich war darüber sehr froh. Noch einmal und noch einmal krachte es und beim dritten Mal wachte der Königssohn auf, weil er dachte, der Wagen bräche, aber da der treue Heinrich ganz ruhig an seinem Platz stand, wollte er sich auch nicht weiter aufregen und schlief ruhig seiner Ankunft im elterlichen Schloss entgegen.

Nur die jüngste Prinzessin saß nachdenklich in ihrem Zimmer und überlegte sich, dass sie etwas erfinden müsste, damit ihr die goldenen Kugel nicht wieder in den Brunnen fiel, wenn sie wieder dort spielte; denn aufgeben mochte sie den Platz im Wald, den sie so sehr liebte, nicht. Und auf einen verzauberten Prinzen hatte sie auch keine Lust mehr.

Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermütig, dass ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem anderen ab und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet: erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherren, zuletzt die Edelleute. Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick: „Das Weinfaß!“ sprach sie. Der andere zu lang: „Lang und schwank hat keinen Gang.“ Der dritte zu kurz: „Kurz und dick hat kein Geschick. Der vierte war zu blaß: „Der bleiche Tod!“ Der fünfte zu rot: „Der Zinshahn!“ Der sechste war nicht gerad genug: „Grünes Holz, hinter’m Ofen getrocknet!“ Und so hatte sie an jedem etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. „Ei“, rief sie und lachte, der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel!“ Und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Der alte König aber, als er sah, dass seine Tochter nichts tat, als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, war er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Tür käme.

Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an, unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er: „Laßt ihn heraufkommen.“ Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen, verlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach: „Dein Gesang hat mir so gefallen, dass ich dir meine Tochter zur Frau geben will.“ Die Königstochter erschrak, aber der König sagte: „Ich habe den Eid getan, dich dem erstbesten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten.“ Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie musste sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König: „Nun schick sich’s nicht, dass du als Bettelweib noch länger in meinem Schloss bleibst, du kannst nun mit deinem Mann fortziehen.“

Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie musste mit ihm zu Fuß fortgehen. Als sie in einen großen Wald kamen, da fragte sie:

„Ach, wem gehört der schöne Wald?“

„Der gehört dem König Drosselbart;

Hättst du’n genommen, so wär er dein.“

„Ich arme Jungfer zart,

Ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“

Da kamen sie über eine Wiese, da, fragte sie wieder:

„Wem gehört die schöne grüne Wiese?“

„Sie gehört dem König Drosselbart;

Hättst du’n genommen, so wär sie dein.“

„Ich arme Jungfer zart,

Ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“

Dann kam sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder:

„Wem gehört diese schöne große Stadt?“

„Sie gehört dem König Drosselbart;

Hättst du’n genommen, so wär sie dein.“

„Ich arme Jungfer zart,

Ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“

„Es gefällt mir gar nicht“, sprach der Spielmann, dass du dir immer einen anderen zum Manne wünschest. Bin ich dir nicht genug?“ Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie:

„Ach, Gott, was ist das Haus so klein!

Wem mag das elende winzige Häuschen sein?“

Der Spielmann antwortete: „Das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.“ Sie musste sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam. „Wo sind die Diener?“ sprach die Königstochter. „Was, Diener?“ antwortete der Bettelmann, „du musst selber tun, was du willst getan haben. Mach nur gleich Feuer und stell Wasser auf, dass du uns das Essen kochst; ich bin ganz müde.“ Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann musste selber mit Hand anlegen, dass es noch so leidlich ging. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett. Aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann: „Frau, so geht’s nicht länger, dass wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten!“ Er ging hinaus, schnitt Weiden und brachte sie heim. Da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Finger wund. „Ich sehe, das geht nicht“, sprach der Mann, „du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ich’s versuchen und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen. Du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware feilhalten. Ach, dachte sie, wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen und sehen mich da sitzen und feilhalten, wie werden sie mich verspotten! Aber es half nichts, sie musste sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erste mal ging’s gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gerne ihre Ware ab und bezahlten, was sie forderte; ja, viele gaben ihr das Geld und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem Erworbenen, solange es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit in eine Ecke des Marktes und stellte es um sich und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar daher gejagt und ritt geradezu in die Töpfe hinein, dass alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wusste vor Angst nicht, was sie anfangen sollte. „Ach, wie wird’s mir ergehen!“ rief sie, „was wird mein Mann dazu sagen!“

„Warum erzählst du es dann?“ vernahm sie eine Stimme. Sie trocknete sich die Augen und sah ein junges Mädchen, das sie interessiert musterte. Was sollte sie dem Mädchen sagen? „Ach, Mädchen, das verstehst du nicht“, war alles, was ihr einfiel. „Ich heiße nicht Mädchen, sondern Agnes“, stellte das Mädchen sachlich richtig. „Und du?“ Die ehemalige Prinzessin schnappte nach Luft: noch nie war sie so direkt nach ihrem Namen gefragt worden; sie hatte nicht nur einen, sondern ganz viele. das erschien ihr jetzt aber übertrieben, und so sagte sie spontan: Frieda, was als Abkürzung für Friederike durchgehen mochte. „Ja, ich heiße Frieda“, bestätigte sie.

„Du musst die Scherben wegräumen und neues Geschirr besorgen“, stellte Agnes sachkundig fest; die Prinzessin begann wieder zu weinen: „wo soll ich jetzt neues Geschirr besorgen, das hat immer mein Mann gemacht.“ Agnes legte den Kopf schief: „Du bist noch nicht lange Händlerin, wenn du gar keine Ahnung hast.“ ‚Händlerin‘, dachte die Prinzessin, ‚ich bin eine Händlerin‘, und es fühlte sich gar nicht so schlecht an. „Stimmt, Mädchen, nein, Agnes, ich mache das noch nicht lange. Weißt du denn, wo ich neues Geschirr bekomme?“ Agnes nickte. Die Prinzessin zählte das Geld, das sie eingenommen hatte, bevor der trunkene Husar in ihre Ware geritten war; es war nicht viel, aber für den Anfang musste es reichen.

Als sie am Abend heimkam, erzählte sie ihrem Mann ihr Unglück: „Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mir irdenem Geschirr?“ sprach der Mann, „lass nur das Weinen, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in unseres Königs Schloss gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du freies Essen.“

Die Königstochter schüttelte den Kopf: „Nein“, sagte sie, „nein, eine Küchenmagd will ich nicht sein; ich habe schon einen neuen Platz auf dem Markt, weniges Geschirr habe ich besorgt besorgt und auch ein junges Mädchen getroffen, das mir sehr geholfen hat. Morgen werde ich wieder auf den Markt gehen und Geschirr verkaufen“; sie sprach es, bereitete das karge Abendessen und legte sich zu Bett.

Am nächsten Morgen stand sie schon sehr früh auf, voller Tatendrang, den sie noch nie gespürt hatte und eilte zum Markt; sie freute sich auf ihren Tag, und als sie Agnes wiedersah, freute sie sich auch, ließ sich in ihrer Arbeit aber nicht stören.

So vergingen die Tage und Wochen und die Königstochter war eine glückliche und sehr erfolgreiche Händlerin geworden; aber sie war eines Königs Tochter und eines Königs Frau; den König Drosselbart hatte sie selbstverständlich sofort erkannt, als er als Spielmann am Hofe ihres Vaters erschienen war: sie hatte genau gewusst, wen sie da heiratete; sie hatte auch den trunkenen Husar in ihm erkannt, der ihr Geschirr zerbrach, als er über den Marktplatz ritt.

Sie hatte auch ihren Stolz und ihre Hochmütigkeit erkannt und sich ihrer geschämt; sie hatte großes Unrecht getan und wollte es für immer bleiben lassen; deswegen freute sie sich, dass sie auf dem Markt die Menschen kennenlernte, denen sie als Tochter des Königs nie begegnet war. Sie hatte gelernt, was es für sie zu lernen gab und jetzt wartete sie darauf, dass auch ihr Mann, der König Drosselbart, das lernte, was er zu lernen hatte.

Und dann werden sie ihre Hochzeit richtig feiern und ich wollte, du und ich, wir wären auch eingeladen.

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen. Wie er sich nun abends im Bette Gedanken machte und sich vor Sorgen herumwälzte, seufzte er und sprech zu seiner Frau: „Was soll aus uns werden? Wie können wir unsere armen Kinder ernähren, da wir für uns selbst nichts mehr haben?“ – „Weißt du was, Mann“, antwortete die Frau, wir wollen morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald führen, wo er am dicksten ist. Da machen wir ihnen ein Feuer an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht wieder nach Haus und wir sind sie los.“ – „Nein, Frau“, sagte der Mann, „das tue ich nicht; wie sollt ich’s übers Herz bringen, meine Kinder im Walde allein zu lassen: die wilden Tiere würden bald kommen und sie zerreißen.“ – „Oh, du Narr“, sagte sie, „dann müssen wir alle viere Hungers sterben, du kannst nur die Bretter für die Särge hobeln“, und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte. „Aber die armen Kinder daurn mich doch“, sagte der Mann.

Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschlafen können und hatten gehört, was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Gretel weinte bittere Tränen und sprach zu Hänsel: „Nun ist’s um uns geschehen.“ – „Still, Gretel“, sprach Hänsel, „gräme dich nicht, ich will uns schon helfen.“ Uns als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Untertüre auf und schlich sich hinaus. Da schien der Mond ganz hell, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Hasu lagen, glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viel in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten. Dann ging er wieder zurück, sprach zu Gretel: „Sei getrost, liebes Schwesterchen, und schlaf nur ruhig ein, Gott wird uns nicht verlassen“, und legte sich wieder in sein Bett.

Als der Tag anbrach, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder: „Steht auf, ihr Faulenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz holen.“ Dann gab sie jedem ein Stückchen Brot und sprach: „Da habt ihr etwas für den Mittag, aber eßt’s nicht vorher auf, weiter kriegt ihr nichts.“ Gretel nahm das Brot unter die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte. Danach machten sie sich alle zusammen auf den Weg nach dem Wald. Als sie ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück und tats das wieder und immer wieder. de Vater sprach: „Hänsel, was guckst du da und bleibst zurück, hab acht und vergiß deine Beine nicht!“ – „Ach, Vater“, sagte Hänsel, „ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitz oben auf dem Dach und will mit Ade sagen.“ Die Frau sprach: „Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint.“ hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.

Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater: „Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, damit ihr nicht friert.“ Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig ward angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte die Frau: „Nun legt euch ans Feuer, ihr Kinder, und ruht euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn wir fertig sind, kommen wir wieder und holen eiúch ab.

Hänsel und Grtel saßen um das Feuer, und als der Mittag kam, aß jedes ein Stücklein Brot. Und weil sie die Schläge der Holzaxt hörten, so glaubten sie, ihr Vater wäre in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein Ast, den er an einen dürren Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Und als sie so lange gesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie endlich erwachten, war es schon finstere Nacht. Gretel fing an zu weinen und sprach: „Wie sollen wir nun aus dem Wald kommen?“ Hänsel aber tröstete sie: „Wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann wollen wir den Weg schon finden.“ Und als der volle Mond aufgestiegen war, so nahm Hänsel sein Schwesterchen an der Hand und ging den Kieselsteinen nach, die schimmerten wie neugeschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg. Sie gingen die ganze Nacht hindurch und kamen bei anbrechendem Tag wieder zu ihres Vaters Haus. Sie klopften an die Tür, und als die Frau aufmachte und sah, daß es Hänsel und Grtel war, sprach sie: „Ihr bösen Kinder, was habt ihr so lange im Wald geschlafen, wir haben geglaubt, ihr wollet gar nicht wiederkommen.“ Der Vater aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen gegangen, daß er sie so allein zurückgelassen hatte.

Nicht lange anach war wieder Not in allen Ecken, und die Kinder hörten, wie die Mutter nachts im Bette zu dem Vater sprach: „Alles ist wieder aufgezehrt, wir haben noch einen halben Laib Brot, hernach hat das Lied ein Ende. Die Kinder müssen fort, wir wollen sie tiefer in den Wald hineinführen, damit sie den Weg nicht wieder herausfinden; es ist sonst keine Rettung für uns.“ Dem Mann fiel’s schwer aufs Herz und er dachte: „Es wäre besser, daß du den letzten Bissen mit deinen Kindern teiltest.“ Aber die Frau hörte auf nichts, was er sagte, schslt ihn und machte ihm Vorwürfe. Wer A sagt, muß B sagen, und weil er das erste Mal nachgegeben hatte, so mußte er es auch zum zweitenmal.

Die Kinder waren aber noch wach gewesen und hatten das Gespräch mitangehört. Als die Alten schliefen, stand Hänsel wieder auf, wollte hinaus und die Kieselsteine auflesen wie das vorige Mal, aber die Frau hatte die Tür verschlossen, und Hänsel konnte nicht heraus. Aber er tröstete sein Schwesterchen und sprach: „Weine nicht, Gretel, und schlaf nur ruhig, der liebe Gott wird uns schon helfen.“

Am frühen Morgen kam die Frau und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner als das vorige Mal. Auf dem Wege nach dem Walde bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still und warf ein Bröcklein auf die Erde. „Hänsel, was stehst du und gukst dich um?“ sagte der Vater, „geh deiner Wege!“ – „Ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache und will mir Ade sagen“, antwortete Hänsel. „Narr“, sagte die Frau, „das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.“ Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.

Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte: „Bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müde seid, könnt ihr ein wenig schlafen. Wir gehen in den Wald und hauen Holz, und abends, wenn wir fertig sind, kommen wir und holen euch ab.“ Als es Mittag war, teilte Gretel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend verging, aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finsteren Nacht und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte: „Wart nur, Gretel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.“ Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein

Bröcklein mehr, denn die viel tausen Vögel, die im Walde und im Felde umherfliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu Gretel: „Wir werden den Weg schon finden.“

Aber sie fanden ihn nicht. Sie gingen die ganze Nacht und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald nicht heraus, und waren so hungrig, denn sie hatten nichts als die paar Beeren, die auf der Erde standen. Und weil sie so müde waren, daß die Beine sie nicht mehr tragen wollten, so legten sie sich unter einen Baum und schliefen ein.

Nun war’s schon der dritte Morgen, daß sie ihres Vaters Haus verlassen hatten. Sie fingen wieder an zu gehen, aber sie gerieten immer tiefer in den Wald, und wenn nicht bald Hilfe kam, mußten sie verschmachten. Als es Mittag war, sahen sie ein schönes, schneeweißes Vögelein auf einem Ast sitzen, das sang so schön, daß sie stehenblieben und ihm zuhörten. Und als es fertig war, schwang es seine Flügel und flog vor ihnen her, und sie gingen ihm nach, bis sie zu einem Häuschen gelangten, auf dessaen Dach es sich setzte, und als sie ganz nahe herankamen , so sahen sie, daß das Häuslein aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. “ Da wollen wir uns dranmachen“, sprach Hänsel, „und eine gesegnete Mahlzeit halten. Ich will ein Stück vom Dach essen, Gretel, du kannst vom fenster essen, das schmeckt süß.“ Hänsel reichte in die Höhe und brach sich ein enig vom Dach ab, um zu versuchen, wie es schmeckte, und Gretel stellte sich an die Scheiben und knusperte daran. Da rief eine feine Stimme aus der Stube heraus:

“ Knusper, knusper, Knäuschen,

Wer knuspert an meinem Häuschen?“

Die Kinder antworteten:

„Der Wind, der Wind, Das himmlische Kind“,

und aßen weiter, ohne sich irre machen zu lassen. Hänsel, dem das Dach sehr gut schmeckte, riß sich ein großes Stück davon herunter, und Gretel stieß eine ganze runde Fensterscheibe heraus, setzte sich nieder und tat sich wohl damit. Da ging auf einmal die Türe auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam herausgeschlichen. Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, daß sie fallen ließen, was sie in den Händen hielten. Die Alte aber wackelte mit em Kopfe und sprach: „Ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierher gebracht?

Kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid.“ Sie faßte beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannekuchen mit Zucker, Äpfeln und Nüssen. Hernach wurden zwei schöne Bettlein weiß gedeckt, und Hänsel und Gretel legten sich hinein und meinten, sie wären im Himmel.

Die Alte hatte sich nicht nur freundlich angestellt, sie war eine sehr freundliche Frau; weil sie aber so schrecklich alt war und so schrecklich aussah, hatten die Menschen Angst vor ihr und hielten sie für eine böse Hexe, die Kindern auflauerte; sie war deshlab aus der Stadt, in der sie gewohnt hatte, in den tiefen Wald gezogen und hatte das Brothäuslein gebaut, um für die Tiere des Waldes zu sorgen; Meneschen hatte sie schon sehr lange keine mehr gesehen. Die Alte hatte eine sehr feine Witterung und gemerkt, als Hänsel und Gretel in ihre Nähe gekommen waren; sie hatte sich gefreut und gelacht und gesagt: „Denen will ich es gut gehen lassen.“ Frühmorgens, ehe die Kinder erwacht waren, stand sie schon auf, und als sie beide so lieblich

ruhen sah, mit den vollen roten Backen, so murmelte sie vor sich hin: „Sie sollen es immer gur haben“. Sie weckte die beiden nicht auf, ließ sie schlafen und machte sich an ihre Arbeit: die Stücke, die Hänsel aus dem Dach gebrochen hatte, mußten neu gebacken werden und das Zuckerfenster, das Gretel sich hatte schmecken lassen, mußte auch erneuert werden.

Als die beiden Kinder aufgewacht waren, konnten sie zuerst nicht glauben, daß sie wirklich in diesem Häuschen waren; sie hatten es für einen Traum gehalten. Als sie aber vor die Türe traten und die Alte eifrig beim Backen sahen, erschraken sie zuerst wieder, trauten sich dann aber näher an sie heran. Gretel war die Mutigere und kam näher an die Frau heran.

„So“, sagte diese, „jetzt ist das Stück fertig, das gestern zwei hungrige Kinder aus dem Dach gebrochen haben.“ Dabei schmunzelte sie und tat so, als ob sie Gretel gar nicht bemerken würde. Gretel erschrak, als sie das große Stück sah, das Hänsel gestern abgebrochen hatte; es war ihr gar nicht so groß vorgekommen. Sie wartete, aber die Alte sagte nichts weiter. Jetzt faßte sich Grtel ein Herz: „Schimpfst du gar nicht mit uns,“ fragte sie schüchtern. Die Frau sah erstaunt auf: „Warum soll ich mit euch schimpfen? Ihr habt etwas sehr vernünftiges gemacht; die Tiere des Waldes machen es auch nicht anders, wenn sie an meinem Häuschen knabbern.“ Gretel war sehr überrascht und auch Hänsel traute sich jetzt näher heran; nein, das waren sie nicht gewohnt, daß sie so freundlich behandelt wurden.

Gretel half der alten Frau bei der Hausarbeit und Hänsel, der davon gar nichts wissen wollte, verschwand den ganzen Tag im Wald und kam erst wieder, wenn er hungrig war. So vergingen die Tage und kein Kummer trübte sie; und doch: Gretel wurde immer trauriger und wußte nicht, warum. Sie verspürte ein Sehnen in ihrem Herzen und manche Nacht weinte sie im Schlafe. Sie hatte auch keinen rechten Appetit mehr und wurde immer dünner.

Eines Tages sagte die alte Frau zu dem Mädchen: „Gretel, vermißt du deine Eltern nicht?“ Gretel fing an, bitterlich zu weinen und konnte gar nicht mehr aufhören, die Tränen flossen ihr übr die Backen herunter und tropften in ihren Teller. Hänsel wollte seine Schwester trösten, konne aber keine Worte finden; er vermißte seine Eltern nicht: so gut, wie im Walde war es ihm noch nie gegangen; er konnte nicht verstehen, warum Gretel heim wollte; so saß er da und machte gar nichts.

Als Gretel alle ihre Tränen geweint hatte, war sie so müde, daß sie gar nicht ins Bett gehen konnte; sie legte ihren Kopf auf den Tisch und schlief auf der Stelle ein; Hänsel und die alte Frau brachten sie ins Bett und deckten sie zu. Am nächsten Morgen sagte die Frau zu den Kindern: „Du, Hänsel, findest es im Wald viel schöner und willst nicht nach Hause; du, Gretel, hast Sehnsucht nach deinen Eltern und willst heim; ich lasse euch von dem schönen, schneeweißen Vögelein, das euch den Weg zu meinem Häuschen gezeigt ha, den Weg aus dem Wald zeigen; und wenn ihr Hilfe braucht, müßt ihr nur das schöne, schneeweiße Vögelein rufen und es wird euch wieder zu mir führen; damit ihr zuhause aber ein Willkommen habt, dürft ihr euch die Taschen füllen.“ Mit diesen Worten führte sie die Kinder zu einem Kasten mit Perlen und Edelsteinen und Hänsel füllte seine Taschen und Gretel ihr Schürzchen. „Die sind noch besser als Kiselsteine“ , lachte Hänsel und alle drei waren sehr vergnügt und nahmen herzlichen Abschied voneinander.

Als die Kinder aber ein paar Stunden gegangen waren, gelangten sie an ein großes Wasser. „Wir können nicht hinüber“, sprach Hänsel, „ich seh keinen Steg und keine Brücke.“ – „Hier fährt auch kein Schiffchen“, antwortete Gretel, „aber da schwimmt eine weiße Ente, wenn ich die bitte, so hilft sie uns hinüber.“

Da rief sie:
„Entchen, Entchen,
Da steht Gretel und Hänsel. Kein Steg und keine Brücke,
Nimm uns auf deinen weißen Rücken.“

Das Entchen kam auch heran, und Hänsel setzte sich auf und bat sein Schwesterchen, sich zu ihm zu setzen. „Nein“, antwortete Gretel, „es wird dem Entchen zu schwer, es soll uns nacheinander hinüberbringen.“ Das tat das gute Tierchen, und als sie glücklich drübern waren und ein Weilchen fortgingen, da kam ihnen der Wald immer bekannter und immer bekannter vor, und endlich erblickten sie von weitem ihres Vaters Haus. Da fingen sie an zu laufen, stürtzten in die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den Hals. Der mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seitdem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber war gestorben. Gretel schüttelte sein Schürzchen aus, daß die Perlen und Edelsteine in der Stube herumsprangen, und Hänsel warf eine Handvoll nach der anderen aus seiner Tache dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen.

Mein Märchen ist aus; ob sie den schönen, schneeweißen Vogel jemals gerufen haben, willst du wissen? Wer weiß?

Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit tun und das Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mädchen mußte sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und mußte so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie schalt es aber so heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach: „Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf!“

Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück, und wußte nicht, was es anfangen sollte. Und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne schien und viel tausend Blumen standen. Auf dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: “ Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich! Ich bin schon längst ausgebacken!“ Da trat es herzu und holte mit dem Brotschieber alles nacheinander heraus. Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voller Äpfel, und dieser rief ihm zu: „Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif!“ Da schüttelte es den Baum, daß die Äpfel fielen, als regneten sie, und schüttelte, bis keiner mehr oben war; und als es alle in einem Haufen zusammengelegt hatte, ging es weiter. Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau; weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm angst und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: „Was fürchtest du dich, liebes Kind? Bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst, so soll dir’s gut gehn! Du mußt nur achtgeben, daß du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, daß die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt; ich bin die Frau Holle.“ Weil die Alte ihm so gut zusprach, so faßte sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelt ihr das Bett immer gewaltig auf, daß die Federn wie Schneeflocken umherflogen. Dafür hatte es auch ein gutes Leben bei ihr, kein böses Wort, und alle Tage Gesottenes und Gebratenes.

Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig und wußte anfangs selbst nicht, was ihm fehlte; endlich merkte es, daß es Heimweh war. Ob es ihm hier gleich vieltausendmal besser ging als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu ihre: „Ich habe den Jammer nach Haus gekriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich muß wieder hinauf zu den Meinigen.“ Die Frau Holle sagte: „Es gefällt mir, daß du wieder nach Hause verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst hinaufbringen.“ Sie nahm es daraufhin bei der Hand und führte es vor ein großes Tor. Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du fleißig gewesen bist“, sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit vom Haus seiner Mutter. Und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief: „Kikeriki, Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie.“

Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es mit soviel Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester gut aufgenommen.
Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die Mutter hörte, wie es zu dem großen Reichtum gekommen war, wollte sie der andern häßlichen und faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie mußte sich an den Brunnen setzen und spinnen; und damit ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger und stieß sich die Hand in die Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und gin auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: „Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken!“ Das Mädchen wunderte sich, hatte nicht ihre Schwester das Brot herausgezogen? Wo kam das neue Brot her? Das würde sie schon noch erfahren; sie holte mit dem Brotschieber alles heraus und huj, wie schnell das ging. Dann ging sie weiter. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif!“ Wieder wunderte sie sich: hatte nicht ihre Schwester alle Äpfel herunter geschüttelt und aufgeschichtet? Sie sah aber keinen Haufen Äpfel; na, das würde sie sicher auch noch erfahren. Sie schüttelte, den Baum, dass diesem Hören und Sehen verging; aber die Äpfel nur aufzuschichten, erschien ihr ziemlich sinnlos, denn dann würde sie einfach alle verfaulen. Sie nahm sich einen Apfel, biss herzhaft hinein und ging weiter.

Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. „Sagt“, fragte sie, „habt ihr vielleicht eine Schubkarre, damit ich die Äpfel holen kann? Es wäre schade, wenn alle verfaulen und wir könnten gut Marmelade daraus kochen. Auch das Brot sollte nicht einfach so liegen bleiben.“ Frau Holle sah das Mädchen überrascht und erfreut an: ja, es hatte recht, Brot und Äpfel gehörten eingesammelt. Es fand sich eine Schubkarre und ein großer Korb und bald war die Arbeit erledigt.

Als sie aber an das Federbett ging, hielt sie inne: es schneite auf der Erde im Winter, dann waren aber keine Äpfel reif und es blühten auch keine Blumen; wenn sie jetzt die Federbetten schüttelte, würde alles erfrieren. Sie fragte Frau Holle, wie sie es machen sollte. Frau Holle war ganz entzückt über die Klugheit dieses Mädchens.

Wenn es keine Arbeit im Haus gab, stromerte das Mädchen über die Wiese, pflückte Blumen und schmückte damit das Haus; so verging die Zeit und allmählich spürte das Mädchen, wie es traurig und immer trauriger wurde; auch Frau Holle bemerkte die Veränderung und fragte das Mädchen, was denn sei. „Ach,“ sagte dieses, „ich weiß, dass ich wieder nach Haus muss. Dort ist es immer so anstrengend. Die Mutter will, dass ich still sitze, meine Schwester ist so langsam und so ungeschickt, dass ich mir angewöhnt habe, überhaupt nichts mehr zu tun. Das ist aber furchtbar langweilig. Sag, kann ich immer, wenn ich es zu Hause gar nicht mehr aushalte, wieder zu dir kommen? In den Brunnen mag ich aber nicht mehr springen.“

Frau Holle schmunzelte, ihr war das sehr recht; dieser Wirbelwind hatte ordentlich Leben in ihre Welt gebracht. „Weißt du, du musst mir auch gar nicht so viel geben wie meiner Schwester; die denkt ja sowieso, dass sie die Fleißige ist; wenn ich weniger habe als sie, ist sie sehr zufrieden und mir ist es egal.“ Frau Holle lachte, wie sie schon sehr lange nicht mehr gelacht hatte. Kichernd brachte sie das Mädchen zu dem Tor, zeigte ihr, wie sie es von außen öffnen konnte, füllte ihr diesmal ihr Taschen mit ein wenig Gold, so wie es das Mädchen gewollte hatte und die beiden verabschiedeten sich herzlich voneinander.

Als sie der Hahn auf dem Brunnen kommen sah, erkannte er das Mädchen nicht mehr, sie war nicht mehr hässlich, sondern strahlte; da er nicht wusste, was er rufen sollte, deshalb hielt er den Schnabel.

Und das ist manchmal das Beste, was Hähne tun können.

Brüderchen und Schwesterchen Oder Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein

Brüderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und sprach: „Seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde mehr. Die Stiefmutter schlägt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, stößt sie uns mit den Füßen fort. Die harten Brotkrusten, die übrig bleiben, sind unsere Speise, und dem Hündlein unter dem Tisch geht’s besser, dem wirft sie doch manchmal einen guten Bissen zu. Daß Gott erbarm! Wenn das unsere Mutter wüßte! Komm, wir wollen miteinander in die weite Welt gehen!“ Sie gingen den ganzen Tag über Wiesen, Felder und Steine, und wenn es regnete, sprach das Schwesterchen: „Gott und unsere Herzen, die weinen zusammen!“ Abends kamen sie in einen großen Wald und waren so müde von Jammer, Hunger und dem langen Weg, daß sie sich in einen hohlen Baum setzten und einschliefen.

Am anderen Morgen, als sie aufwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel und schien heiß in den Baum hinein. Da sprach das Brüderchen: „Schwesterchen, mich dürstet, wenn ich ein Brünnlein wüßte, ich ging und tränk einmal; ich mein, ich hört eins rauschen.“ Brüderchen stand auf, nahm Schwesterchen an der Hand, und sie wollten das Brünnlein suchen. Die böse Stiefmutter aber war eine Hexe und hatte wohl gesehen, wie die beiden Kinder fortgegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich, wie die Hexen schleichen, und hatte alle Brunnen im Walde verwünscht. Als sie nun ein Brünnlein fanden, daß es so glitzerig über die Steine sprang, wollte das Brüderchen daraus trinken. Aber das Schwesterchen hörte, wie es im Rauschen sprach: „Wer aus mir trinkt, wird ein Tiger, wer aus mir trinkt, wird ein Tiger.“ – Da rief das Schwesterchen: „Ich bitte dich, Brüderlein, trink nicht, sonst wirst du ein wildes Tier und zerreißest mich!“ Das Brüderchen trank nicht, ob es gleich so großen Durst hatte, und sprach: „Ich will warten, bis zur nächsten Quelle.“ Als sie zum zweiten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterchen, wie auch dieses sprach: „Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf, wer aus mir trinkt, wird ein Wolf.“ Da rief das Schwesterchen: „Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Wolf und frissest mich.“ – Das Brüderchen trank nicht und sprach: „Ich will warten, bis wir zur nächsten Quelle kommen, aber dann muß ich trinken, du magst sagen, was du willst, mein Durst ist gar zu groß.“ Und als sie zum dritten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterlein, wie es im Rauschen sprach: „Wer aus mir trinkt, wird ein Reh; wer aus mir trinkt, wird ein Reh.“ Das Schwesterchen sprach: „Ach, Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Reh und läufst mir fort:“ Aber das Brüderchen hatte sich gleich beim Brünnlein niedergekniet, hinabgebeugt und von dem Wasser getrunken und wie die ersten Tropfen auf seine Lippen gekommen waren, schmeckte es so köstlich, daß es gar nicht mehr aufhören wollte zu trinken. Erst als es seinen Durst gestillt hatte, stand es wieder auf.

Das Schwesterchen stand da, hatte die Augen ganz fest zusammengedrückt und weinte, da es dachte, dass sein Brüderchen jetzt ein Reh wäre. Brüderchen nahm die Hand von seiner Schwester, worauf sie furchtbar zusammenzuckte und die Augen aufriss; als es seinen Bruder völlig unverwandelt vor sich stehen sah, erschrak es noch mehr, weinte noch viel mehr und war zur selben Zeit ganz erleichtert und froh.

Brüderchen sagte zu seiner Schwester: „Am ersten Brünnlein hast du soviel Angst gehabt, dass auch ich mich gefürchtet habe; am zweiten Brünnlein hatte ich schon weniger Angst und bei dem dritten hier gar keine mehr. Deswegen habe ich getrunken und es ist mir nichts passiert. Jetzt wollen wir weitergehen und sehen, wo wir liebe Menschen finden, bei denen wir ein Auskommen kriegen. Schlechter als bei der Stiefmutter wird es uns nirgends ergehen.“

Und Brüderchen und Schwesterchen gingen Hand in Hand und voller Vertrauen weiter, bis sie aus dem Wald waren in in die Welt hineingingen.

Die böse Stiefmutter aber, die eine Hexe war und nach Art der Hexen den Geschwistern nachgeschlichen war, hatte gesehen, dass sie am ersten Brünnlein nicht tranken, dass sie am zweiten Brünnlein nicht tranken, dass aber Brüderchen am dritten Brünnlein getrunken hatte und nichts passiert war. Darüber verwunderte sich die Hexe gar sehr und es erboste sie und sie wollte ausprobieren, warum es nicht funktioniert hatte und sie beugte sich am dritten Brünnlein nieder und trank – und als das Wasser ihre Lippen benetzt hatte, wandte sich ihre eigene Verwünschung gegen sie und eine ungeheure Kraft erfasste sie und zog sie in die Tiefe. Dort ertrank die böse Frau gar jämmerlich und kein Mensch hat jemals wieder etwas von ihr gehört.